holztod - page 42

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„Ja, so a ... Zigarrn, de war jetzt recht. Weihnachtn hat´s für mi ja scho lang nimmer
gebn, aber heut is ma so, a ohne Christbam. Aber´s ... Christkindl is do, des san ... Sie für
mi. I konn gar net sagn, wie glückli i bin. Schaun S´, i hab an Schutzengl, der is jetzt a in
dem Haus ...“, brachte er gerade noch heraus, dann versagte ihm erneut die Stimme, er
verbarg sein Gesicht in den Händen und weinte.
Noch lange saßen sie ohne ein Wort am Tisch, jeder in seine Gedanken versunken, und
doch fühlten sie so, als wäre es nie anders gewesen. Ihre Augen trafen sich, ihre Blicke
flossen ineinander. Irgendwann war das Schweigen zu Ende.
„I bin de Vroni!“, sprach sein Christkindl in die Stille hinein, ging zum Tresen und kam
mit zwei Gläsern Obstler zurück. „A wenn´st net oaner von meine Buam bist, i kann di
doch net aus´m Haus jagn bei dem Sauwetter.” Mit einem Lächeln reichte sie ihm die
Hand und sagte lächelnd: „Schwoam ma´s abe*, Christian. Der Herrgott wollt, dass mir
uns in dem Lebn treffn. Prost!” Christian suchte nach Worten, konnte sein Glück noch
immer nicht fassen, glaubte sich in einer anderen Welt. „Di ... hat wirkli ... da Himml
gschickt, mei erst´s Weihnachtn nach´m Krieg geht weiter. Prost, Vroni!”
Dann ergriff er behutsam ihre Hände, hätte die ganze Frau am liebsten in die Arme ge-
zogen, noch mehr von ihr gespürt, allein, das konnte er nicht. Nicht nur seine Heimat
hatte der Krieg kaputt gemacht. Nein, auch sein Herz und seine Seele. So sehr er sich
auch nach Liebe, nach der Wärme einer Frau sehnte, war ihm nur noch nach Schlaf, nach
Geborgenheit.
„Du schaust so komisch. Ja, ... i woas scho, i ... bin koa jungs Madl mehr, sonst war´s um
di gschehng, des kannst ma glaubn!”, drohte sie schelmisch lächelnd. „Wenn´st magst,
kannst länga dableibn, i hab ja gnug Platz. Vergiss aber net, dass i a gladene Flintn hab!”
Ihr Vertrauen, ihr mütterliches Wesen weckten längst vergessene Gefühle in seiner ver-
letzten Seele, die nun, Federn gleich, durch seinen vom Rauch umnebelten Kopf schweb-
ten. Bier und Obstler taten allmählich ihre Wirkung, eine lange nicht erlebte Ruhe er-
füllte ihn.
„Obn im erstn Stock hob i a Kammer für di. Schlaf amoi wieda in am gscheitn Bett, hast
bestimmt scho lang nimmer ghabt.“
Zwei vor Stunden noch einsame Seelen standen sich, von Gefühlen hin und her gerissen,
lange schweigend gegenüber. „Morgn schaun ma dann, was der Dog** bringt.”
Wie durch eine Wand, wie aus einem anderen Raum vernahm er ihre Stimme, fragte
müde: „Warum tust des für mi, Vroni?”
Sie drückte seine Hände. „Frag net so vui, du Dummerl!”, und führte ihn zur Kammer.
Noch ein zärtliches „Guat Nacht, Christian“, „Guat Nacht, Vroni”, eine sanfte Berührung
ihrer beider Hände. Danach gab sie ihn frei, stieg langsam die Treppe hinunter.
Viel Zeit, um sich in der Kammer umzuschauen, nahm er sich nicht. Raffte nur noch sei-
ne alten Sachen zusammen, hätte sie am liebsten aus dem Fenster geworfen, doch selbst
dazu war er nicht mehr fähig. Überwältigt von den Ereignissen des Tages, sank er in das
weiche, frisch duftende Bett. Nur kurz wurde er gewahr, wie dieser zunächst so ungewiss
begonnene Tag sein Leben verändert hatte. „Dein langer, schwerer Weg ist endlich zu
Ende, Christian!” flüsterten Engel, die ihn sanft davontrugen.
* Spülen wir‘s runter ** Tag
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