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DEUTSCH
Schulaufgabe: Textzusammenfassung
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Rhea Silvia gelogen und euer Vater ist ein gewöhnlicher Sterblicher, dann wage ich erst recht nichts, wenn ich euch
aussetze.” So befahl er, die Kinder in den Tiber zu werfen, aber heimlich, bei Nacht, damit nicht alles Volk davon
erfahren würde. In einer kleinen hölzernen Wanne lagen die Zwillinge, fest eingebunden in warme Tücher, schlafend
und gesund. Ein Knecht trug sie, ein anderer leuchtete mit einer Fackel am Flussufer entlang. Der Strom führte hohe
Wogen, es war die Zeit der Schneeschmelze, wo der Tiber reißend und wild weit über die Ufer tritt, und die beiden
Männer gingen ängstlich an seinen schäumenden Wellen entlang. Dann warfen sie die Wanne mit den Kindern ins
Wasser und flohen von dem unheimlichen Ort, gejagt von schlechtem Gewissen. Am anderen Morgen hob sich ein
grauer Tag über den Fluss. Die Wasser hatten sich verlaufen, der Tiber floss wieder in seinem alten Bett. Da ertönte
ein dünnes Geschrei: Unter einem Feigenbaum, fest an den Stamm gepresst, lag die Wanne mit den beiden Kindern!
Und so waren die Zwillinge gerettet.
Aber kein Mensch sah sie hier und niemand kam an diesen schrecklichen Ort der Zerstörung. Die Kleinen
erwartete der Hungertod - wozu waren sie dem Ertrinken entronnen? Vom Berg herab strich ein grauer Schatten, vor-
sichtig, geduckt hinter den Büschen entlang. Schließlich trat eine große Wölfin ans Ufer, beugte sich und trank vom
Wasser. Das klägliche Weinen ließ sie aufhorchen und sie tappte langsam hinüber zum Feigenbaum, wo die Zwillinge
lagen. Die Wölfin stutzte und fuhr zurück, dann näherte sie sich wieder mit gesträubtem Fell den Kindern, wich zurück
und kam wieder wie auf einen Befehl. Schließlich wagte sie es, die Kleinen vorsichtig mit ihrer rauen Zunge zu lecken,
und endlich begann sie, die Kinder mit ihrer Milch zu nähren. Dann lief sie davon. Tagelang kam die Wölfin an den
Tiber, ging zum Korb und nährte die Kinder mit ihrer Wolfsmilch, bei der sie gut gediehen. Nach wenigen Tagen ging
der Ziegenhirte Faustulus am Tiber entlang und suchte Holz für sein Feuer. Da sah er voller Schrecken einen riesigen
Wolf an einem Feigenbaum stehen. Aber das Tier beachtete ihn nicht, sondern ließ ihn, der nun neugierig geworden
war, ruhig herankommen. Faustulus sah die Wölfin eifrig zwei Kinder lecken, die in einer Wanne lagen. Erst als er
ganz herantrat, zog sich das Tier scheu zurück. Er nahm die Zwillinge auf und trug sie fort. Faustulus und seine Frau
behielten die Kinder gern bei sich, nannten sie Romulus und Remus und zogen sie auf, wie sie ihre eigenen Kinder
erzogen hatten: rau und einfach, bei derber Kost und früher Arbeit mit den Tieren und auf dem Felde. Sie wuchsen
zu starken, unbändigen Knaben heran.
(
aus: Römische Sagen, neu erzählt von Ulla Leippe, Keyser, 1958)
Aufgabe 2: „Verdiente Strafe”
In einer Stadt lebte ein erfolgreicher Kaufmann, der sich durch alle möglichen Geschäfte ein großes Vermögen erworben
hatte. Obwohl seine Geschäftsmethoden häufig kritisiert wurden und sein Geiz überall bekannt war, wurde er wegen
seines Reichtums von den vornehmsten Familien der Stadt eingeladen. Dabei zeigten ihm manche Gastgeber voll
Stolz die Bilder ihrer Eltern, Großeltern und Urgroßeltern und rühmten deren Erfolge und Verdienste um die Stadt.
Der Kaufmann war sehr beeindruckt von den prächtigen Gemälden. „So ein Bild brauche ich unbedingt”, dachte
er. „Ich habe schließlich auch etwas geleistet, und daran soll man sich später erinnern.” Entschlossen, etwas für
sein Ansehen in der Öffentlichkeit zu tun, begab er sich zu einem bekannten Maler, dessen Gemäldeausstellung in
der Stadt Tagesgespräch war. Mit der notwendigen Sorgfalt erklärte er ihm sein Anliegen und beauftragte ihn, ein
naturgetreues, lebensgroßes Porträt seiner Person anzufertigen. Obwohl der etwas überraschte Künstler zuerst
zögerte und für seine Arbeit einen sehr hohen Preis verlangte, war der sonst so geizige Geschäftsmann einverstan-
den. „Geld spielt in diesem Fall keine Rolle”, betonte er ausdrücklich.
Der Maler machte sich an die Arbeit und hielt sich an die Wünsche seines Auftraggebers. Als er aber das fertige Bild
termingerecht ablieferte, erlebte er eine Überraschung. Der Kaufmann, der seine Großzügigkeit bereits bereut hatte,
deutete erregt auf das Porträt und schimpfte: „Das soll ich sein? Diese bleiche Gesichtsfarbe! Diese Schweinsäuglein!
Diese Hängebacken! Dieser verkniffene Mund! Völlig verfehlt ist meine Nase! Nehmen Sie Ihr Machwerk wieder mit.
Es ist eine Beleidigung meiner Person!” Ohne auf die Vorwürfe einzugehen, packte der Maler sein Werk wieder ein
und verließ das Haus des geizigen Herrn.
Am nächsten Tag war die Ausstellung des Malers in der Kunsthalle der Stadt um ein Bild erweitert worden, das
besonders Interesse und große Heiterkeit bei den Besuchern erregte. Bald erfuhr auch der Geizhals von dieser Attrak-
tion. Entsetzt stand er vor dem von ihm selbst bestellten, aber jetzt sehr veränderten Porträt. Ein hässlicher Mensch,
dessen Aussehen durch faltige Hängebacken, winzige Schweinsäuglein und eine unförmige Nase entstellt war, starrte
ihn an. Mit freundlichem Lächeln trat der Maler ihm entgegen, begrüßte ihn und fragte: „Haben Sie Interesse an dem
Bild dieses Unbekannten? Es ist allerdings sehr teuer, denn ich habe bereits einige sehr gute Angebote.” Zähneknir-
schend zog der Kaufmann sein Scheckbuch und bezahlte nun den doppelten Preis, um dieses Bildnis den Augen der
Öffentlichkeit zu entziehen und für immer verschwinden zu lassen.
Unbekannter Autor