Stege klein - page 6

Stege laden zum Verweilen ein, lösen Emotionen aus.
Stege sind Sehnsuchtsorte am See. Ich bin fast jeden
Morgen an einem Steg, wenn ich in Eching am Ammersee
mit unseren beiden Hunden Gassi gehe. Und jeden Mor-
gen präsentiert sich der Bootssteg dort in einem anderen
Licht, in einer anderen Stimmung. Mal in morgendlichen
Nebel gehüllt, mal im orangen Licht der Morgensonne,
mal im Schneetreiben, mal vom Wasser fast überspült
oder schneebedeckt mit glitzernden Eiskristallen im
gleißenden Sonnenlicht. Es ist mir schon lieb geworde-
ne Routine, morgens "meinen" Steg zu betreten, seine
schon etwas verwitterten, von Moos und Flechten über-
zogenen Holzplanken unter meinen Füßen zu spüren und
über dem See zu wandeln, ja zwischen Himmel und See
fast zu schweben. Dem Ammersee einen "Guten Morgen"
zu wünschen, den Tag zu begrüßen, egal, wie er oder ich
gestimmt sind.
Irgendwann hatte ich immer eine Kamera dabei und
begann, die verschiedenen Stimmungen einzufangen.
Und irgendwann beschränkte ich mich nicht mehr nur auf
diesen einen Steg, an der Wasserwacht in Eching. Gut ein
Jahr war ich im Fünfseenland mit meiner Leica oder Fuji-
film unterwegs. Im Morgengrauen kurz nach Sonnenauf-
gang, am Abend bei Sonnenuntergang, in hellen Nächten
bei Vollmond, bei totaler Flaute und bei Sturm, an einem
heißen Sommertag oder in klirrender Kälte und Schnee-
gestöber, im Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter. Ich
kenne sie nun fast alle, die Stege an unseren fünf Seen.
Und jeder dieser Seen hat seine ganz eigenen Stimmun-
gen, sein ganz eigenes Licht. Und auch ihre Boots-, Damp-
fer- und Badestege präsentieren sich immer anders.
Am Ammersee gibt es nicht nur die Stege, sondern
auch die zahlreichen, über dem Künstlersee "schweben-
den" Bootshäuser. Am Wörthsee verschwinden die vielen
Klappstege zum Ende der Badesaison und am Starnber-
ger See liegen viele Stege verborgen auf privatem Grund.
Die schönsten Sonnenuntergänge gibt es am Ammersee
und Wörthsee. Der Starnberger See und der Pilsensee ha-
ben mit ihrem kristallklaren, im Sommer leicht grünen
Wasser fast Karibikatmosphäre. Und auch der Kleinste
unter den Fünfen in unserer Region hat seinen ganz be-
sonderen Charme: Gerade am Abend spiegelt sich in fast
märchenhafter Weise im dunklen Wasser des Weßlinger
Sees der Zwiebelturm der Dreikönigskirche.
Für diesen Bildband habe ich die Menschen an den
Seen eingeladen, mir ihre Gedanken zum Bootssteg, zum
Wasser, zum See oder zur Sehnsucht amWasser, See oder
Steg aufzuschreiben. Dieser Einladung sind Künstler, Li-
teraten, Autoren, Dichter, Kulturhistoriker, Festivalleiter,
Restaurantbesitzer, Hotel- und Strandbadbetreiber, Bür-
germeister und Schauspieler gefolgt. Sie alle haben ihre
ganz eigenen Assoziationen zu den Stegen in unserem
Fünfseenland.
Maren Martell
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