holztod - page 16

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unerwünscht einherkam und sich in winterlicher Trägheit durch den dunstigen Morgen
kämpfte, Natur, Mensch, Tier und alle erfreute, die so lange darauf verzichtet und ohne
eine andere Wahl viele Entbehrungen hingenommen hatten. Nun wärmte sie, wie Schnee
und Eis, der Menschen Seelen und Körper auf. War das schon ein zaghaftes Lächeln des
nahenden Frühlings? Nur die Natur wusste, noch war dessen Zeit nicht gekommen, der
Eindruck täuschte. In den Dörfern kannten sie den launischen Gesellen zur Genüge. Ob
sommers, ob winters, er kam, brach unerwartet in sich zusammen und schlich sich wie
ein Schelm, welcher lächelnd über die Berge geklettert war, auf dem gleichen Weg davon.
Trat urplötzlich seinen Platz an mit ihm regierende Wetterfürsten ab, wartete gleichwohl
geduldig auf eine Gelegenheit zur baldigen Wiederkehr.
Am besagten Tag allerdings fegte er aus heiterem Himmel auf einmal wie wild geworden
über die Berge bis hinab ins Tal, bog Baumwipfel, sauste über Hausdächer und Höfe.
Blies den Schnee in alle Richtungen davon, ließ seiner Gewalt unbeherrscht freien Lauf.
Hätte es in jenen Tagen bereits einen Wetterbericht im TV wie heutzutage gegeben, so
wäre da sicher ein Dipl.-Meteorologe, gekleidet in sportlichen Alpenlook, hinter der
bunten Videowand hervorgetreten und hätte freundlich doziert: „Guten Abend, liebe
Zuschauer. In den nächsten Tagen erwartet uns ein krasser Wetterumschwung. Beson-
ders am 5. und 6. Januar, also am Dreikönigstag, steht den Menschen im Bereich der
Alpen sogar ein Föhnsturm bevor, dessen Intensität momentan noch etwas unklar ist.
Doch er kann sich durchaus bis zu Orkanstärke mit Windgeschwindigkeiten von über
200 km/h steigern. Wie bereits in den ersten Januartagen herrscht derzeit nördlich der
Alpen und im Voralpengebiet starker Tiefdruck. Dazu wird es schneien, aber in tieferen
Lagen auch regnen. In Oberitalien, somit südlich der Alpen, herrscht Hochdruck. Das
wiederum bewirkt, dass warme Luft, die im Süden aufsteigt, sich stark abkühlen und
nach Erreichen des Alpenkammes als warmer und außergewöhnlich starker Fallwind
in die von Nord nach Süd verlaufenden Alpentäler einfallen wird. Dies betrifft sowohl
die bayerischen wie auch Tiroler Berge und Täler. Laut Wetteramt München gibt es am
Vormittag wolkenlosen Himmel, auf dem Wendelstein z.B. außergewöhnliche Fern-
sicht, sowie nur leicht böigen Wind aus Süd bis Südwest. Die Temperatur kann bis über
14 Grad plus oder gar mehr ansteigen. Was dann folgt, wissen wir nicht. Das weiß nur
einer, aber der sagt es uns nicht. Also nützen Sie den Föhn und die Sonne, solange es
noch nicht so garstig ist. Guten Abend und machen Sie´s gut!“
Indes, an des Winters Ende wollte noch niemand im Dorf so recht glauben, nicht im
Januar, dazu war es zu früh! Kleine Bäche, gestern noch von glitzerndem Eis und Schnee
bedeckt, hatten sich über Nacht in glucksende, silbrig glänzende Bänder in der ansons-
ten erstarrten Landschaft verwandelt. Sollte der Winter in diesem Jahr doch schon dem
Ende zustreben? Dieser Winter, der ungewöhnlich früh schon im vergangenen Oktober
begonnen, Mensch und Vieh in Haus und Stall getrieben hatte?
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